Chemie Chemie: Badehosen aus Braunkohle
LEUNA/MZ. - Die rasant gestiegenen Preise im vergangenen Sommer mit dem Rekord von 147 Dollar pro Fass (159 Liter) lieferten einen Vorgeschmack darauf, dass die Zeiten des billigen Öls bald vorbei sind.
Angesichts langfristig steigender Preise könnte daher die Kohlechemie in Mitteldeutschland eine Renaissance erleben. Mehrere Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus der Region haben sich zum Forum "Innovative Braunkohlen Integration in Mitteldeutschland" zusammengeschlossen. "Wir brauchen Alternativen zum Öl, um die Chemie in Mitteldeutschland langfristig zu sichern", sagt Andreas Schroeter, Projektleiter und Chef der Gesellschaft für Ingenieur-, Hydro- und Umwelttechnologie mbH in Halle.
Dabei wird an eine alte Tradition angeknüpft: Anfang der 30er Jahre wurde erstmals in Leuna großtechnisch aus Braunkohle Benzin hergestellt. In der DDR ist Braunkohle vor allem zur Synthesegas-Herstellung genutzt worden, um Grundstoffe wie Methanol, Ammoniak oder Wasserstoff zu gewinnen.
Nun soll geklärt werden, welche Einsatzmöglichkeiten sich heute bieten. "Alle chemischen Basisprodukte, die aus Erdöl hergestellt werden, lassen sich auch aus Braunkohle produzieren", sagt Andreas Hiltermann, Geschäftsführer von Infra-Leuna. "Von der Badehose über Kunststoffe bis zu Kraftstoffen ist alles machbar." Damit sich dieses wirtschaftlich rechnet, müssen laut Hiltermann die derzeitigen Technologien weiterentwickelt werden. "Wir benötigen einen Technologiesprung bei der Gewinnung und Veredlung von heimischer Braunkohle", so Hiltermann.
Auch Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Reiner Haseloff (CDU) meint, die Braunkohle ist der wichtigste Rohstoff der Region und sollte nicht nur für die Stromproduktion genutzt werden. "Das Vorhaben eröffnet neue Chancen für die Wertschöpfung und die Beschäftigung", sagte der Minister am Mittwoch auf einer Fachtagung des Clusters Chemie / Kunststoffe in Leuna.
Bisher basiert die hiesige Chemie-Industrie zu fast 100 Prozent auf Erdöl oder Erdgas. Nach Einschätzung von Fachleuten rechnet sich die Kohlechemie aufgrund hoher Investitionen ab einem Ölpreis von 80 bis 100 Dollar pro Fass. Am Mittwoch kostete Öl an den Börsen rund 63 Dollar.
Die größte Hürde bei all den Projekten dürfte die hohe CO-Emission der Verfahren sein. "Bei der Produktion und dem Verbrauch von Benzin aus Kohle entsteht etwa doppelt so viel CO wie aus Erdöl", sagt Matthias Haenel vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. Durch den Emissionsrechtehandel durch die EU entstehen zudem zusätzliche Kosten. Eine Abtrennung oder gar Verwendung des CO bezeichnet Haenel als sehr schwierig und teuer. Auch Projektleiter Schroeter sieht die Problematik: "Teil des Projektes ist es, eine stoffliche Weiterverwertung des CO zu prüfen."
Die Mitglieder des Verbundes betonen, dass durch die Kohlechemie andere Rohstoffe nicht komplett ersetzt werden könnten. Etwa zwei bis drei Millionen Tonnen Kohle könnten in die stoffliche Verwertung gelangen. Dies wären etwa zehn bis 15 Prozent der heute von der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag) in Theißen (Burgenlandkreis) abgebauten Braunkohle. Erste Projekte könnten laut Schroeter zwischen 2015 bis 2020 realisiert sein.