A9 bei Triptis Bratwurst A9 Rodaborn: Mehr als 10.000 unterzeichnen Petition für Raststätten-Rebellin

Rodaborn - Bei ihr stehen Könige Schlange, die Könige der Straßen. Es ist fast wie bei Rapunzel im Märchen, nur ohne goldenes Haar. Die Herzdame, heute mit sportlicher Frisur, lockt anders - mit echten Thüringer Rostbratwürsten.
Christina Wagner betreibt einen Grillstand direkt an der A9 bei Triptis.
Bund und Land machen ihr das Geschäft allerdings seit Jahren streitig. Zuständig für die Versorgung der Reisenden sind nach deren Auffassung reguläre Raststätten. Im Gegensatz zu denen besitzt Wagner keine Konzession. Ämter verhängen deshalb Strafgelder gegen sie.
A9 bei Triptis: Wurstverkauf über den Maschendrahtzaun
Gerichte befassen sich mit dem Fall. Im Laufe der Zeit ist die Frau zur Rebellin geworden. Mancher ihrer Gäste nimmt sich daran sogar ein Beispiel.
Im Unterschied zu Rapunzel kann und will es sich Wagner gar nicht leisten, gelangweilt auf einem Turm zu sitzen. „Ich muss Geld verdienen“, sagt die gebürtige Mannheimerin. Dabei müht sie sich auf einer wackligen Leiter um Gleichgewicht. In luftiger Höhe von 2,50 Meter verkauft die 55-Jährige ihre Ware über den Autobahnzaun hinweg. Das ansonsten unüberwindliche Metallgitter, mittlerweile bundesweit an vielen Rastplätzen üblich, trennt den Grill im kleinen Hexenhäuschen von ihrer Kundschaft.
Petitionen fordern Erhalt des Bratwurstverkaufs an der A9 bei Rodaborn
Trotz und gerade wegen der Sperre herrscht aber auf beiden Seiten große Einigkeit: Der Zaun muss weg! Mehr als 11.000 Unterstützer (Stand 19. Juni, 21 Uhr) haben diese Forderung bislang unterschrieben. Und es werden täglich mehr - teils im Kundenbuch am Gitter dokumentiert, teils eingesammelt im Internet. Eine von mehreren Petitionen, die im Netz kursieren, stammt von einem Bratwurst-Fan aus Halle. Die Minimal-Forderung: Der Parkplatz erhält eine Tür für Leute, die gerne Bratwurst essen, und für Notfälle.
Angesprochen ist Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie solle, so der Wunsch von Wagner, höchstselbst ein Machtwort sprechen. Bratwurst-Christina, wie sie Stammkunden nennen, würde ihr einen langen Riemen mit Senf und Brötchen spendieren. 2,50 Euro kostet eine Roster hier. Das gilt als Kampfpreis. Entlang der Piste ist sonst selbst eine Tasse Kaffee teurer.
Neuerdings reichen die Würste nicht immer. Dann bestellt Wagner nach, beim Metzger im Nachbardorf. Die Nachfrage ist gestiegen. Ihr Ringen mit den Behörden spricht sich herum und kommt gut an. „Irgendwie geht es gegen die da oben“, bringt es die Frau am Grill auf den Punkt.
„Hier am Eisengitter wird aus der Bratwurst ganz schnell eine Wutwurst“
Streiterfahrungen besitzt die Mutter von drei Kindern zur Genüge. Sieben Jahre habe sie ihre schwerkranke Mutter betreut, sich dabei immer wieder mit Behörden anlegen müssen. Inzwischen fühle sie sich selbst als Mutmacherin. Zuspruch bekomme sie, weil sie nichts einfach hinnehme. „Hier am Eisengitter wird aus der Bratwurst ganz schnell eine Wutwurst.“
Ernst Rückert zum Beispiel steht Ärger im Gesicht geschrieben. Der Sachse, im Kleinwagen auf dem Weg nach München, will sich wegen seines jüngsten Rentenbescheides anlegen. Dem ehemaligen Bahn-Ingenieur geht es um eine früher zugesicherte Sonderzahlung. „Ich mache das genauso wie die Bratwurst-Frau, nehme mir jetzt einen Anwalt.“ Er kauft vier Würste, „auch aus Solidarität“.
Student Sebastian Jung aus Jena will sich nach der Begegnung dem Streit gleichfalls nicht aus dem Weg gehen. „Ich soll plötzlich mehr Miete und zusätzliche Betriebskosten zahlen, so nicht“, sagt der junge Mann, bevor er wieder auf sein Motorrad steigt. Eine Frau aus Halle, die anders als alle Männer an diesem Tag ihren Namen nicht nennen will, sieht sich als Opfer einer Schikane. Fünf Knöllchen an fünf Tagen, da wolle sie es notfalls auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit der Stadt ankommen lassen.
Stammgäste an der A9 bei Rodaborn bei Bratwurst-Christina
Vielen Stammgästen geht regelrecht das Herz auf. Trucker-Fahrer Bernie aus Berlin-Kreuzberg, der beinahe jede Woche hier Station macht, ruft ihr zu: „Herz haste uffm rischtjen Fleck, un Schnauze och.“ Mancher der Politiker könne sich da ein Beispiel nehmen. Andere, so die Erstwähler und Dachdeckerlehrlinge Erik, Kevin und Johannes aus Bayreuth, machen sogar ihre Stimmabgabe zur Bundestagswahl von der Zukunft des Grillstandes abhängig.
Gerd Metzner aus Neuhaus am Rennweg drückt ihr die Daumen für die nächste Runde vor Gericht. Sein Appell: „Lasst doch die Frau in Frieden ihre Würste verkaufen, wir haben doch Marktwirtschaft.“ Das ist freilich nur ein frommer Wunsch. Denn die Auffassungen von Bund und Land auf der einen Seite sowie Christina Wagner auf der anderen Seite sind ein einziger Gegensatz. Eins steht allerdings fest: Im Jahr 2009 haben die Frau am Grill und ihr Mann die Immobilie vom Bund ersteigert - für einen niedrigen fünfstelligen Betrag. Dabei handelt es sich geschichtlich um Deutschlands älteste Autobahn-Raststätte. Erst renovieren, dann wie seit 1936 die Speisen und Getränke an Reisende verkaufen... Dieser Plan ist nicht aufgegangen, weil es einen Haken gibt. Der Vertrag, der den Standort zur Autobahn-Raststätte erhebt, ist spätestens seit 2004 nur noch ein historisches Papier. Längst obliegt „Tank & Rast“ die Versorgung entlang der Trasse.
Und dass es zum Zeitpunkt des Erwerbs noch keinen Zaun gibt, der Grundstück und Parkplatz trennt, ändert daran wahrscheinlich nichts. Wagners besitzen streng genommen ein Grundstück mit einem alten Fachwerkhaus - „zufällig“ direkt an die A 9 , aber für Wanderer nur auf Umwegen zu erreichen. Unternehmerische Initiative hin oder her, unter diesen Umständen muss der Traum von der eigenen Autobahn-Raststätte ein Traum bleiben. Im Gegenteil: Sparen ist angesagt. Als Dach über dem Kopf dient zum Beispiel von Anfang an ein betagter Wohnwagen. Kräuter für die belegten Brötchen, die gleichfalls im Angebot sind, stammen aus der Pflanzschale am Imbiss. Und Feuerholz sammelt man in der Umgebung. Internet-Zugang? Fehlanzeige.
Nun soll - mangels Nachfrage - sogar die einst angeschaffte Bimmelbahn für Kinder verkauft werden. Mit dem Wunscherlös von 8.000 Euro werde man noch eine Weile durchhalten. Und durchhalten muss Christina Wagner. Als Jahrgang 1962 habe man keine Alternative. „Ich stehe hier und kann nicht anders.“ Angst vor Zwangsgeldern wegen illegalen Geschäftsbetriebs oder einer amtlich verfügten Schließung habe sie nicht. „Irgendwann holt mich die Polizei ab, aber auch die Jungs essen meine Bratwürste.“ (mz)