1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Besondere Landwirtschaft: Arche-Hof in Klosterbuch Sachsen: Ein Hof im Muldetal rettet vom Aussterben bedrohte Haustiere

Besondere Landwirtschaft Arche-Hof in Klosterbuch Sachsen: Ein Hof im Muldetal rettet vom Aussterben bedrohte Haustiere

Von Iris Stein 06.05.2017, 08:00
Elsbeth Pohl-Roux und Jürgen Pohl mit einigen tierischen Bewohnern ihres Arche-Hofs in Klosterbuch.
Elsbeth Pohl-Roux und Jürgen Pohl mit einigen tierischen Bewohnern ihres Arche-Hofs in Klosterbuch. Andreas Stedtler

Klosterbuch/Leisnig - Es wiehert. Mäht, muht, miaut, gackert und bellt. Wie heißt eigentlich das Geräusch, das ein Puter von sich gibt? Gehört nämlich auch noch dazu. Muss das Quaken der Frösche erwähnt werden?

Eines ist mit der Aufzählung all dieser Laute auf jeden Fall klar: Die Bezeichnung Arche ist genau die richtige für diesen Fachwerkhof in Klosterbuch bei Leisnig in Sachsen, auf dem Elsbeth Pohl-Roux und Jürgen Pohl seit mehr als 15 Jahren leben.

Ein Arche-Hof also. Das bedeutet, dass die Tiere, die hier gehalten werden, zu Rassen gehören, die nur die wenigsten noch kennen. Original Braunvieh-Kühe, Rheinisch Deutsches Kaltblut, Moorschnucken, Sachsenhühner, Bronzeputen.

Arche-Hof in Sachsen: Ein Hort der gefährdeten Haustierrassen

Nur Hund und Katze lassen sich nicht ganz so eindeutig zuordnen - spielen auch keine Rolle für die Einstufung des Hofes. Wer sich Arche-Hof nennen will, muss feste Kriterien erfüllen.

Eines davon: Die Tiere, die es hier gibt, müssen mindestens drei gefährdete alte Haustierrassen repräsentieren. Deshalb also die exotisch anmutenden Bezeichnungen von Tieren, die früher jeder kannte.

Rottaler Pferd, Schwäbisch Hällisches Schwein, Diepholzer Gänse, Deutsche Sperber - die Liste der vom Aussterben bedrohten Haustierrassen ist lang. Und sie wächst.

Arche-Hof in Sachsen: Einer von über 90 in ganz Deutschland

137 Positionen stehen derzeit in Deutschland darauf. Zwar ist seit Gründung der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) im Jahr 1981 keine Rasse mehr völlig verschwunden, doch seinerzeit galt diese Gefahr nur für 56 Kandidaten.

Damit die Liste nicht noch länger wird und es vor allem dabei bleibt, dass keine Rasse mehr ausstirbt, engagieren sich Menschen wie die Pohls. Seit 1995 gibt es Arche-Höfe in Deutschland, zurzeit über 90, keinen davon in Sachsen-Anhalt.

Sie sind keine Streichelzoos, sondern werden landwirtschaftlich genutzt. Rund die Hälfte der Arche-Höfe als Vollerwerbsbetrieb. Neben ihnen gibt es auch Arche-Dörfer oder -Parks, damit durch diese Vielfältigkeit die Erhaltung und Nutzung der alten Rassen erleichtert wird.

Arche-Hof in Sachsen: Die Sinnhaftigkeit von Landwirtschaft

„Man muss Tiere in ihrer Artenvielfalt mitnehmen durch die Zeit“, sagt Elsbeth Pohl-Roux. Aus Baden-Württemberg stammt sie ursprünglich, Verbindung zur Landwirtschaft hatte ihre Familie seit Jahrzehnten.

Nach der Wende zog die naturverbundene Frau Anfang der 90er Jahre nach Sachsen. Bis heute betreibt sie eine Beratungsfirma im Bereich Telekommunikation, doch den Traum von einem Leben in Einklang mit der Umwelt hat sie schon immer gehabt. Es geht ihr dabei um die Sinnhaftigkeit von Landwirtschaft.

Vor gut 15 Jahren kam sie auf den Hof nach Klosterbuch, der nur klein ist, kaum Land hat, auch nicht in Pacht. „Eine Fläche geschütztes Land ist mir lieber als Geld auf der Bank“, sagt die 61-Jährige in ihrer trockenen Art.

Arche-Hof in Sachsen: Froschrunde gehört zum Alltag dazu

Zieht den knallroten langen Wollmantel an, schnappt sich den Gummieimer und zieht barfuß in stabilen Sandalen mit Hund Franco auf „Froschrunde“. Die Krötensperre nahe des Fachwerkhofs entlang, um die Lurche, die sich dort sammeln, sicher zu ihren Laichgewässern „überzusetzen“.

Jürgen Pohl ist in Sachsen auf einem Bauernhof groß geworden. Mit drei Brüdern, doch heute ist er der letzte in der Familie, der „noch mit Tieren hantiert“.

Alles mögliche hat er gemacht, als nach der Wende die LPG, für die er gearbeitet hatte, in Liquidation ging. LKW gefahren, Kabel verlegt, in einer Holzverarbeitungsfirma sein Glück versucht.

Arche-Hof in Sachsen: Hochwasser änderte Pläne

Dann kam Elsbeth. Mit ihr sollte noch einmal alles anders werden. Im September 2001 kauften die gläubigen Christen den Hof, damals noch mit dem Plan, etwas Touristisches zu machen, denn Jürgen Pohl gehörte auch ein Haflinger-Gespann.

Doch nach der Hochzeit kam 2002 das Hochwasser mit verheerenden Folgen für das Anwesen. Und letztlich mit einem völlig neuen Ziel für das bodenständige Paar.

Unmittelbar am Hof fließt die Freiberger Mulde vorbei, die damals alles verwüstete. Gebäude mussten danach neu errichtet, Dämme rekonstruiert werden.

Arche-Hof in Sachsen: Hofladen lohnt sich nicht

„Diese Dämme galt es zu bewirtschaften“, erzählt Jürgen Pohl, wie es anfing mit dem Arche-Hof. Eine kleine Herde Heidschnucken legten sie sich zu, denn „die gefallen mir“, sagt die nunmehrige Teilzeit-Bäuerin Elsbeth.

Es folgten Moorschnucken, Erzgebirgsziegen, Kaltblüter, Hühner. Die Erträge sind bescheiden, auch, weil die Zahl der Tiere gering ist. So gering, dass sich ein Hofladen nicht lohnt.

Über 260 Eier legt ein Leistungshuhn im Jahr, „bei uns gibt es gerade mal die Hälfte“ - doch dafür ohne jedwede Giftstoffe. Und den Pohls genügt es, sie haben sich mittlerweile auf viele Standbeine gestellt.

Arche-Hof in Sachsen: Keineswegs nur ein Hobby

Sie erhalten Agrarförderung, logistische Unterstützung von der GEH, Geld für Pflegemaßnahmen vom Naturschutz, u. a. für die Streuobstwiese, die sie pflegen. Sie haben Sponsoren, führen ein Gästehaus, bieten Kutschfahrten an.

Als Hobby wollen sie ihre Arbeit nicht verstanden wissen. „Wir haben viele Varianten überlegt“, erklärt Jürgen Pohl den Neuanfang nach dem Hochwasser 2002.

„Weil wir sozial sein wollten für Mensch und Tier, schien ein Arche-Hof am passendsten zu sein.“ Ein Glücksumstand nicht nur für den Erhalt alter Haustierrassen, sondern auch für Michael Urbe.

Arche-Hof in Sachsen: Ältere Rassen haben ihre Vorteile

Der 55-Jährige kam vor sieben Jahren als Ein-Euro-Jobber nach Klosterbuch. Heute arbeitet der Hartz-IV-Empfänger ehrenamtlich auf dem Hof. Der ehemalige Zootechniker kann ohne Nachdenken die Vorteile der alten Rassen aufzählen.

„Bei Schafen und Kühen verläuft die Geburt viel unkomplizierter als bei Hochleistungsrassen“, sagt er, „einen Tierarzt brauchen wir fast nie.“ Sicher haben Neuzüchtungen auch Vorteile für die industrielle Landwirtschaft, räumt er ein, doch die Tiere in Klosterbuch haben kaum Krankheiten.

Als Michael Urbe noch im Kuhstall der LPG arbeitete, gab es jede Menge Probleme mit den Eutern. Der Laie fragt sich spätestens an dieser Stelle, warum dann nicht mehr auf alte, unverbrauchte Rassen gesetzt wird.

Arche-Hof in Sachsen: Insel und Vorreiter zugleich

„Die Tiere wachsen langsamer, und sie bringen weniger Leistung“, sagt Urbe. „Wenn jemand das in Kauf nimmt, müssen das Menschen sein, die das machen wollen. Für die Geldverdienen nicht das Entscheidende ist.“

Solche Leute sind Elsbeth Pohl-Roux und Jürgen Pohl. „Mir geht’s gut, wenn ich abends zufrieden ins Bett gehen kann“, bekräftigt Jürgen Pohl, der augenzwinkernd verrät, manchmal tagelang keinen Euro zu brauchen.

Dabei ist nicht nur das eigene gute Gefühl wichtig, sondern für beide auch der Sinn ihres Tuns. Der Erhalt der alten Rassen als Genreserve, die Vielfalt und Auswahl an Nutztieren, die ein Rassenerhalt ermöglicht, das ist zugleich nicht unwesentlich für die Landwirtschaft der Zukunft.

Begreifen sie sich mit ihrem Hof und dem Tierbestand, der kaum über Selbstversorgerniveau hinauskommt, nun als Vorreiter oder als eine Insel? Der 62-jährige Jürgen Pohl überlegt lange. Dann sagt er: „Wir sind beides.“

Mehr Informationen:www.klosterbuch.com, www.g-e-h.de

(mz)