25. März 25. März: Stasi sucht Schutz der Justiz
Reichenbach/MZ. - Edmund Käbisch konnte so etwas nicht ahnen. Nun schon drei Jahre wandert die Ausstellung, die der pensionierte Zwickauer Dompfarrer und heutige Religionslehrer mit seinen Schülern erstellte, durch die Lande. Und dann das: Gerade war die Schau "Christliches Handeln in der DDR" im Reichenbacher Rathaus eröffnet worden, da bekam der 64-jährige Sachse Post von einem Anwalt. 250 000 Euro Strafe, schrieb ihm der Jurist vor wenigen Wochen, würden drohen, wenn die Namensnennung seines Mandanten nicht ab sofort unterbleibe.
Moskau als Belohnung
Der Grund ist pikant. In der Ausstellung über Kirche im Sozialismus hatten Schüler und Lehrer unter anderem die DDR-Geheimdienstakte des Inoffiziellen Mitarbeiters "Schubert" präsentiert. Die Akte eines Mannes, der für seine Spitzeldienste in der Kirchengemeinde mehr als 4 000 Mark Bares, 8 000 Mark Kredit und 1980 eine Belohnungsreise zu den Olympischen Spielen in Moskau erhalten hatte. "Er war einer von 60 auf mich angesetzten IM", sagt Käbisch nach dem Studium seiner Opferakte. "Und einer, der exemplarisch für die Stasispitzelei steht."
Doch IM "Schubert", als dessen letzte Aktivität die Staatssicherheit noch im November 1989 die "Übersiedlung in die BRD" vermerkte und der heute wieder im sächsischen Vogtland lebt, wollte das nicht stehen lassen. Sein Anwalt erwirkte beim Landgericht Zwickau eine Einstweilige Verfügung (die MZ berichtete). Bis zu einem Urteil ist die Schau, für die Käbisch inzwischen massive Drohungen hinnehmen musste, abgehängt. "Wir haben jetzt Widerspruch eingelegt", so Käbisch gestern nach einer Konsultation seines Anwalts.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Aufarbeitung des DDR-Erbes zu juristischen Auseinandersetzungen führt. Vor wenigen Wochen beispielsweise hat - von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt - ein westdeutsches Ehepaar per Einstweiliger Verfügung die Auslieferung eines Buches auf Eis legen lassen, das ein Mitarbeiter der Stasiunterlagenbehörde verfasst hatte. Die Eheleute, zu Zeiten des Kalten Krieges im Vorstand einer Bundespartei in Bonn tätig, sahen sich in dem Band über die westdeutschen Spione im Dienste des MfS zu Unrecht als Agenten genannt. Juristische Auseinandersetzungen gab es vor Monaten auch in Thüringen, als ein Historiker auf seiner Internetseite "Stasi in Erfurt" 500 konspirative Wohnungen öffentlich und recherchierbar machte.
Den bislang gravierendsten Fall juristischer Streitigkeiten gab es vor Jahren in Halle - ein Vorgang, der sogar das Bundesverfassungsgericht beschäftigte. 1992 hatten Unbekannte eine Liste mit den Namen und Decknamen sowie Einsatzrichtungen von mehr als 4 500 einstigen IM der MfS-Bezirksverwaltung Halle verschickt: an Parteien, Medien und Landesbehörden. "Bild" druckte die Namen und meldete Auflagenrekorde. Das Neue Forum legte die Listen öffentlich zum Einblick aus. Hunderte standen Schlange - Einstweilige Verfügungen prasselten ins Haus.
Mehrere Klagen gegen die Bürgerrechtler wurden eingereicht und bis zum Verfassungsgericht durchgefochten. Auf eines der zwei Urteile, die der Bundesgerichtshof dazu sprach, nehmen nun auch die Zwickauer Richter Bezug: Sie sehen in der Veröffentlichung einen "rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht". Eine Nennung der Namen von IM sei nur zulässig, wenn sie im MfS-Gefüge eine exponierte Stellung hatten oder im öffentlichen Leben eine herausgehobene Stellung innehaben. Beides können die Zwickauer Richter nicht erkennen.
Und noch ein anderer Fall sorgt in diesen Tagen für heftige Diskussionen - weil er für viele Aufarbeitungsinitiativen als "Angriff auf das Stasiunterlagengesetz" (StUG) gewertet wird. In der halleschen Gedenkstätte "Roter Ochse", das als NS-Zuchthaus, Gefängnis der sowjetischen Militäradministration und später als Untersuchungshaft der Staatssicherheit diente, sind - inklusive Foto - Namen und berufliche Angaben zu hauptamtlichen MfS-Vernehmern vermerkt.
Streit auch in Halle
Obwohl das StUG dies ausdrücklich gestattet, machen nun erstmals bundesweit hauptamtliche Mitarbeiter des MfS wie Ex-Abteilungsleiter Jürgen Stenker mobil und wollen beim Landesbeauftragten für Datenschutz eine Schwärzung ihrer Daten erreichen. "Wir haben die Angaben sehr zurückhaltend veröffentlicht, obwohl wir juristisch viel mehr dürften", ist sich der Chef der Gedenkstättenstiftung Joachim Scherrieble sicher. Wie auch immer der Fall ausgeht: Für die Schau in Reichenbach hat er keine Bedeutung. Hier muss Edmund Käbisch selbst vor Gericht ziehen. Einen Termin gibt es auch schon: Verhandelt wird am 8. April.