Polizei/Geschichte Polizei/Geschichte: Revolutionäre Waffe gegen Verbrecher

Hamburg/dpa. - Ein blutiger Daumenabdruck am Türrahmen, hauchdünne Spuren an der Mordwaffe: Seit 100 Jahren macht auch in Deutschland ein unveränderliches Merkmal den Verbrechern das Leben schwer - ihr Fingerabdruck. In anderen Ländern im Kampf gegen Ganoven bereits erfolgreich eingesetzt, führte im März 1903 der Chef der Dresdner Kriminalpolizei, Paul Koettig, als erster deutscher Fahnder den Fingerabdruck zur Verbrechensbekämpfung ein. Seither sind die feinen Spuren für die Kriminologen zur Identifizierung von Tätern aber auch von Opfern unentbehrlich.
«Der Fingerabruck ist aus der modernen Kriminalistik nicht wegzudenken. Die Bedeutung ist unbestritten», beschreibt der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Holger Bernsee, die Aktualität der Abdrücke für die Arbeit der Fahnder. Eine absolute individuelle Zuordnung ist möglich. Auch DNA- Analysen und andere moderne Ermittlungsmethoden können der Bedeutung der unter anderem mit Pinsel und Pulver zum Vorschein gebrachten «Papillarlinien» nicht den Rang ablaufen.
Dabei war die neue Fahndungsmethode zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts umstritten. «Es gab teilweise Widerstände», sagt Karsten Schlinzig von der Dresdner Polizei, der sich seit Jahren mit der Historie des Fingerabdrucks beschäftigt. Zwar gab es Erfahrungen im Ausland, doch war im Deutschen Reich als Fahndungsmethode gerade erst die sehr aufwendige «Bertillonage» eingeführt worden. Ein System der Köpervermessung zur Identifizierung, das nach ihrem Erfinder Alphonse Bertillon benannt worden war.
«Doch es war eine sehr dynamische Zeit. Kripo-Chefs suchten nach neuen Methoden», sagt Schlinzig. Dabei war der Dresdner Kripo-Chef Koettig einer der führenden Fahnder im Reich. Im März 1903 führten schließlich die Ermittler die unverkennbaren Spuren als Waffe gegen Ganoven ein - Startschuss für den Siegeszug einer damals revolutionären Technik gegen das Verbrechen.
1914 hatten die sächsischen Fahnder bereits 150 000 Blätter mit Fingerabdrücken gesammelt - Grundlage für den ersten mit den unverwechselbaren Spuren aufgeklärten Mordfall in Deutschland. Am 4. Juli geht den Fahndern in Dresden die Schneiderin Maria Magarethe Müller ins Netz - via Fingerabdruck wurde sie des Doppelmordes überführt. Anfang der 20er Jahre sind die beweiskräftigen Fingerlinien flächendeckend in deutschen Polizeistuben eingeführt.
Heute stehen den Ermittlern nach 100 Jahren «Daktyloskopie» über das «Automatisierte Fingerabdruckidentifizierungssystem» mehr als 3,2 Millionen Abdruckblätter zur Verfügung. Die komplette Digitalisierung ist allerdings noch Zukunftsmusik. Noch immer müssen oftmals Verdächtige alle zehn Finger über ein Stempelkissen rollen und das Abdruck-Bild zu Papier bringen. Monat für Monat kommen nach Angaben des Bundeskriminalamtes mehr als 40 000 dieser Blätter zur Auswertung hinzu, nicht alle sind allerdings neu. Erfasste und gespeicherte Daten bleiben dann bei Erwachsenen zehn Jahre abrufbar, sollten Ganoven in der Zwischenzeit erneut in kriminelle Machenschaften verstrickt sein, bleibt ihr Abdruck im Fahndungsrepertoire der Ermittler.
Der unverwechselbare Abdruck, bereits vor hunderten von Jahren von Chinesen als «Siegelzeichen» genutzt, begann seinen Siegeszug gegen das Verbrechen jedoch nicht in Deutschland. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts führte Argentinien das erste System dieser Art ein. Hier wurde auch der erste Mordfall mit Hilfe der individuellen Spur gelöst. Der Tagelöhnerin Francisca Rojas konnte der Mord an ihren beiden kleinen Kindern nachgewiesen werden, der unfehlbare Beweis: Ein blutiger Daumenabdruck am Türrahmen.