Früher DDR-Umweltaktivist Vorträge bei Götz Kubitschek: Ist früher DDR-Umweltaktivist Michael Beleites, ein Rechter?
Halle (Saale) - Beim „Institut für Staatspolitik“ haben sie es gerne anspruchsvoll. Die Einrichtung in Schnellroda (Saalekreis), eine Art Denkfabrik der Neuen Rechten in Deutschland, lädt nicht einfach zu Seminaren ein. Sondern zu „Akademien“ oder „Staatspolitischen Salons“. Darunter machen sie es nicht in Schnellroda, in Halle oder in Berlin, wo immer auch die Tagungen stattfinden. Es geht dann um die Zukunft Europas, die Lage in Syrien, die USA unter Trump oder um die Frage, wie das eigentlich geht: „Mit Linken leben“.
Die Perspektive: rechtsaußen. Die Redner: alles was Rang und Namen hat in der Szene, von Instituts-Mitgründer und Vordenker Götz Kubitschek über den Magdeburger AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann bis hin zu Felix Menzel, Herausgeber des neurechten Online-Magazins „Blaue Narzisse“.
Im Januar dieses Jahres tauchte auf der Rednerliste der „Winterakademie“ ein Name auf, den man dort nicht vermutet hätte: Michael Beleites. Früher DDR-Umweltaktivist und Autor einer kritischen Studie über den Uran-Bergbau in der DDR, heute Landwirtschaftsexperte und Bio-Gärtner in Sachsen.
Was ist da eigentlich passiert?
Michael Beleites, ein Rechter? Der „Spiegel“ jedenfalls ordnete ihn ein in eine Reihe ehemaliger DDR-Oppositioneller mit einem vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsschwenk. Der in Halle geborene Pfarrerssohn, schrieb das Blatt, verstricke sich „immer weiter in seiner rechten Gedankenwelt“.
Aber ist man ein Rechter, wenn man bei Rechten Vorträge hält? Michael Beleites, 53, sitzt im Garten eines alten Pfarrhauses im Erzgebirgsvorland, das er seit Jahren mit seiner Familie bewohnt. Zwischen Apfelbäumen picken Hühner, ein Hahn stolziert herum und kräht, neben der Haustür rankt sich Wein empor, kleine blaue Trauben, sauer.
Beleites, ruhige Stimme, wohlüberlegte Sätze, wirkt nicht sauer, eher verzweifelt. Als suche er nach Erklärungen für das, was da passiert ist: „Ich habe mir nicht vorstellen können, deswegen in die rechte Ecke gestellt zu werden, weil ich mit Rechten geredet habe.“ Er spricht von Verleumdung und Diffamierung.
Vielleicht war er einfach naiv. Beleites hat zweimal in Schnellroda Vorträge gehalten. Er sei von Kubitschek gefragt worden, sagt er. Es ging um Kritik am Verdrängungswettbewerb und am Sozialdarwinismus, Themen, mit denen er sich lange befasst. Und die, wie er sagt, „rechten Ideologien diametral entgegenstehen. Ich habe da eine Chance zur Auseinandersetzung gesehen, wenn ich gerade zu diesen Themen angefragt wurde.“
Auseinandersetzungen? Ja, gerne!
Auseinandersetzungen hat Michael Beleites nie gescheut. Nicht in der DDR, als ihn wegen seiner Aktivitäten in der Umweltbewegung die Stasi im Visier hat. Nicht in der Wendezeit, als er in einem Bürgerkomitee zur Auflösung der Staatssicherheit auf deren Offiziere trifft. Und nicht heute. „Ich halte es für selbstverständlich, auch mit Menschen zu reden, die andere Positionen vertreten, ihnen zuzuhören, was sie bewegt.“ Das müsse auch für die Neue Rechte gelten.
Es ist eine Haltung, die in Beleites’ Umfeld Anfang der 1980er Jahre in der kirchlichen Jugendarbeit wurzelt. Er erinnert sich: „Wir haben es als Wert vermittelt bekommen, dass Dialog und ein Perspektivwechsel wichtig sind. Man versteht jeden Konflikt besser, wenn man sich in die Position des anderen hineinversetzt.“ Klingt nach Mission. Das sei es nicht, beteuert er. „Aber ich hoffe, dass die anderen ihre Haltung überdenken.“
Folgt man seiner Erklärung, könnte man sagen, er hat sich in die Höhle des Löwen begeben. Aber hat er auch mit dem Teufel paktiert?
Michael Beleites: „Viele haben mich einfach den Rechten zugeordnet“
Viele sehen das so. Beleites, von 2000 bis 2010 Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, hat sein Geld auch mit Vorträgen und Aufsätzen für Zeitungen, Zeitschriften und Bücher verdient - Uran-Bergbau, DDR-Opposition, Agrarpolitik. Davon sei nicht viel übrig geblieben, sagt er. Er sei kaum noch angefragt worden. Weggefährten hätten sich abgewandt, Freundschaften seien beschädigt worden. „Viele haben mich einfach den Rechten zugeordnet und waren nicht bereit zu differenzieren“, beklagt er. Es habe aber auch andere gegeben, die direkt nachgefragt hätten. Da hätten sich Missverständnisse und Irritationen schnell aus dem Weg räumen lassen.
Was ihm heute bleibt, ist die Gärtnerei, die er gemeinsam mit seiner Frau betreibt. Blumen, Kräuter, Teemischungen, vertrieben auf Wochenmärkten und in Bio-Läden im Raum Dresden. „Man wird nicht reich damit“, sagt er, „aber es ist eine erfüllende Arbeit.“ Es klingt tapfer.
Beleites ist nicht allein. Da ist etwa der Ex-Dissident Siegmar Faust aus Berlin, bis vor kurzem Führer in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen. Er sei keinesfalls rechtsextrem, sondern normal rechts, wie andere Leute eben normal links seien, sagte Faust unlängst der Berliner Zeitung. Und: „Bei der AfD finde ich niemanden, den ich als Nazi bezeichnen würde.“ Oder Vera Lengsfeld, Ex-SED, Ex-DDR-Opposition, Ex-Grüne, Ex-CDU, Erstunterzeichnerin einer Petition gegen „illegale Masseneinwanderung“.
Woher kommt solcher Wandel? Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sprach in einem MZ-Interview vor kurzem von „Radikalisierungsmomenten“, die er mit der „Nichtanerkennung der Lebensleistung einstiger politischer Häftlinge“ erklärte. Auch von einer „Opfer-Konkurrenz“ ist unter Fachleuten die Rede. Demnach sehen einige Dissidenten ihren Status als Opfer der SED-Dikatur unterbewertet, gegenüber NS-Opfern und heutigen Kriegsflüchtlingen.
Beleites hält das für abwegig: „Ich kenne niemanden aus der Dissidenten-Szene der 80er Jahre, der sich als Opfer definiert. Uns ist es wichtiger, was wir getan haben, als was mit uns getan wurde.“
Parallelen? Zwischen Pegida und ’89?
Die Absagen häuften sich schon, als Beleites 2015 ein umstrittenes Vorwort zu einem ebenso umstrittenen Buch über Pegida schrieb. Er macht darin „erstaunlich viele Parallelen“ zwischen Pegida-Wutbürgern und den Wende-Demonstranten von 1989/90 aus, was viel Kritik auslöste. Er beteuert aber, das Vorwort aus einer „Außenansicht“ verfasst und sich mit Pegida nicht gemein gemacht zu haben.
Sein Gastgeber in Schnellroda, Götz Kubitschek, ist der Mann, der sich in der Tellkamp-Debatte dafür aussprach, den gesellschaftlichen „Riss“ zu vertiefen. Der Vordenker einer rechten Strömung, die Angst hat, dass Migranten in Deutschland die Macht an sich reißen. In Leipzig warnte er 2015 vor einem „Austausch“ des deutschen Volkes. In einer Mail an die MZ erklärte er später, wie das gemeint sei: „Mit dem Großen Austausch der deutschen ist gemeint, daß deutschland nicht mehr länger ausschließlich oder wenigstens vor allem das land der deutschen ist, sondern von massenhaft von angehörigen anderer völker besiedelt wird.“ (Schreibweise im Original)
Wusste Michael Beleites, auf wen er sich da einlässt?
Die Antwort: Die „Riss“-Forderung teile er nicht, sagt Beleites, „das spaltet die Gesellschaft nur weiter“. Man müsse aber über Migration und die daraus erwachsenden Probleme reden können, „ohne gleich als Nazi abgestempelt zu werden“.
Aber gefährdet Einwanderung tatsächlich die deutsche Identität, wie die Neue Rechte glauben machen will? Beleites stellt eine Gegenfrage: Wie integrationsfähig sind wir? Er sieht die westliche Gesellschaft im „Verdrängungswettbewerb“, daher könne sie „noch nicht mal die eigenen Leute richtig integrieren, geschweige denn Millionen Menschen aus anderen Kulturen“. Den Einwand, die Flüchtlingszahlen seien gesunken, lässt er nicht gelten: „Die Fluchtursachen halten an. Darüber muss man reden. Darüber, dass unser Wohlstandsmodell auch auf der Ausbeutung von Ländern beruht, deren Einwohner dann zu uns kommen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive mehr sehen.“
Jetzt klingt er wie ein Linker. Wie bei der Haltung zu einem Einwanderungsgesetz, das er skeptisch sieht: „Das reduziert Migranten auf den Nützlichkeitsaspekt für uns.“ Eine ausgesprochen linke Position. Als man ihn darauf hinweist, sagt er trocken: „Dann bin ich hier eben ein Linker.“ So einfach ist das mit den Schubladen.
Michael Beleites ist Autor der „Pechblende“
Geboren in Halle, wächst Michael Beleites in Siersleben bei Eisleben und in Trebnitz bei Zeitz auf. Die Stasi hat Beleites im Visier, seit er 17 ist: Seine Kontakte zu kirchlichen Umweltgruppen, später auch zur westdeutschen Friedensbewegung, sind dem Geheimdienst ein Dorn im Auge. Er darf weder Abitur machen noch studieren noch die DDR verlassen.
Bekannt geworden ist Beleites als Autor der „Pechblende“, einer Studie über den Uran-Bergbau in der DDR und dessen Folgen für Mensch und Umwelt. Beleites recherchiert dafür im Verborgenen, Fotografien des Manuskripts versteckt er unter dem Dach der Trebnitzer Kirche.
Im Sommer 1988, vor 30 Jahren, werden 1 000 Exemplare der Studie unter der Hand in Kirchen- und Umweltkreisen verteilt und in den Westen geschmuggelt. Bis dato unterlag der Uran-Bergbau höchster Geheimhaltung.
Nun erfährt eine breite Öffentlichkeit erstmals von den Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung und dem Raubbau an der Natur. Die Stasi muss wutschäumend zuschauen: Sie kann dem Autor keine Vergehen nachweisen. (mz)